Ärzte: Keine Freigabe radioaktiven Restmülls aus AKWs

Pressemitteilung vom 26.01.2017: Entschließung der 5. Vertreterversammlung der Landesärztekammer Baden-Württemberg am 26. November 2016 in Stuttgart

Nach Plänen der grün-schwarzen Landesregierung sollen in diesem Jahr sogenannte „freigemessene“ gering radioaktive Abfälle aus dem Rückbau der Atomkraftwerke Obrigheim und Neckarwestheim auf den Bauschuttdeponien der Landkreise in Buchen, Schwieberdingen und Horrheim eingebaut werden. Gegen diese Vorhaben haben sich erhebliche Proteste erhoben, nachdem ein ursprünglich von Umweltminister Untersteller verkündetes Moratorium nach einem Gutachten des Öko-Institutes in Freiburg aufgehoben wurde.

Die von der Fraktion „Ärztinnen und Ärzte in sozialer Verantwortung“ in die Vertreterversammlung der Landesärztekammer Baden-Württemberg eingebrachte und dort mit großer Mehrheit positiv beschiedene Entschließung hat zu viel Resonanz in Politik und Medien geführt. Die Vertreterversammlung hatte in ihrer Entschließung insbesondere vor der Verharmlosung möglicher Strahlenschäden durch die sog. „Freigabe“ und den Einbau gering radioaktiven Restmülls für die Bevölkerung gewarnt und dafür plädiert, beim Rückbau der AKWs anfallenden radioaktiven Müll auf dem Kraftwerksgelände zu deponieren.

Nach Protesten des Umweltministeriums unter Franz Untersteller (Grüne) sah sich die Landesärztekammer mit ihrem Präsidenten Dr. Ulrich Clever veranlasst, die Entschließung der Vertreterversammlung vorübergehend bis zur weiteren Klärung des Sachverhaltes aus dem Internet-Auftritt der Kammer zu nehmen. In einer gemeinsamen Presseerklärung mit dem Umweltministerium verwies die Landesärztekammer auf möglicherweise neue Erkenntnisse eines Fachgutachtens des Öko-Institutes und machte die Notwendigkeit einer weiteren Klärung des Sachverhaltes deutlich.

In der gestrigen Sitzung des Vorstandes der Landesärztekammer wurde das Thema der Freigabe von gering radioaktiven Abfällen erneut diskutiert. Die Antragsteller danken Präsidium und Vorstand der Landesärztekammer ausdrücklich, dass hier die Möglichkeit gegeben wurde, in der Vorstandssitzung die wissenschaftlichen Grundlagen und ihre Bedenken zum Verfahren der Freigabe gering radioaktiven Restmülls vorzutragen.

Aus Sicht der Antragsteller beantwortet das vom Umweltministerium in Auftrag gegebene Gutachten die Fragen nach einer unnötigen gesundheitlichen Gefährdung der Bevölkerung auch durch geringe Strahlenmengen nicht. Das vom Ministerium und dem beauftragten Öko-Institut angeführte 10 μSV Konzept ist ein hypothetisches und nicht messbares Konstrukt. Auch die im Gutachten vermutete Einhaltung dieser willkürlichen Grenze kann gesundheitliche Schäden durch Strahlenexposition über lange Zeiträume nicht ausschließen. Nach Einbau freigemessenen Atommülls auf den Deponien ist eine Messung der Strahlendosis nicht mehr möglich. Die Strahlenbelastung durch den Einbau von gering radioaktivem Atommüll aus den Kernkraftwerken erhöht für die betroffene Bevölkerung unfreiwillig die ohnehin bestehende natürliche Strahlenbelastung zusätzlich. Auch die natürlich vorkommende Strahlung kann zu gesundheitlichen Schäden führen. Dem trägt auch der Gesetzgeber Rechnung, wenn zukünftig beispielsweise die natürliche Radonbelastung Berücksichtigung in der EU-konformen Neuregelung zum Strahlenschutz finden wird. Die Strahlenschutzverordnung fordert eine Minimierung von Strahlenbelastungen für die Bevölkerung und eine Rechtfertigung auch der niedrigsten Strahlenbelastung mit der Abwägung möglicher Handlungsalternativen. Einigkeit besteht bei allen Fachleuten darüber, dass es keine Grenzwerte für die Schädlichkeit von Strahlung gibt. Auch das vom Umweltministerium bemühte Öko-Institut stellt in einem Gutachten aus dem Jahr 2014 fest, dass auch „unterhalb der Dosisgrenzwerte ein Risiko für späte tödlich verlaufende Krebserkrankungen und Schäden bei Nachkommen“ besteht.

Weiterhin bleibt unklar, warum das Umweltministerium nicht auf die guten alternativen Möglichkeiten zur Lagerung des Atommülls in bunkerähnliche robuste Bauwerke auf den Kraftwerksgeländen oder auf das Konzept des bautechnischen Verschlusses nach Entkernung radioaktiv belasteter AKW-Teile zurück greift. Beide Verfahren wurden als geeignet beurteilt, wie sich aus aktuellen Gutachten der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges IPPNW“ ergibt.

Die Antragsteller begrüßen deshalb die Entscheidung von Präsidium und Vorstand der Landesärztekammer, den Beschluss der Vertreterversammlung vom 26.11.2016 wieder ins Netz zu stellen und weitere fachkundige Beratungen u. a. im bestehenden Ausschuss Prävention und Umwelt der Landesärztekammer durchzuführen.

Wir unterstützen ausdrücklich die Position des Präsidiums und Vorstandes, wonach Gesundheitsschutz und die Prävention von Schäden der Gesundheit der Bevölkerung auch durch unnötige Strahlenbelastung zu den zentralen Aufgaben der Kammer zählt.

Dr. med. Robin T. Maitra, M.P.H.
Ärztinnen und Ärzte in sozialer Verantwortung

Landesärztekammer Baden-Württemberg:
Keine Freigabe radioaktiven Restmülls aus Kernkraftwerken im Land Baden-Württemberg (26.11.2016)

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