SWR1 Thema heute: AKW Rückbau Obrigheim


SWR 1 Thema heute: Baden-Württemberg mit Rainer Hartmann.

Guten Abend. Wie wird eigentlich ein Atomkraftwerk abgebaut und wie gefährlich ist so was? Bei uns in Baden-Württemberg kann man das derzeit gut beobachten. Vor ziemlich genau 7 Jahren ist das Atomkraftwerk Obrigheim im Odenwald, nördlich von Heilbronn, vom Netz gegangen und unsere Reporterin war drin im Atomkraftwerk. Sie berichtet, was inzwischen schon weg ist und was noch steht und vor allem wie gefährlich der Rückbau ist. Dazu spreche ich auch mit dem grünen Umweltminister von Baden-Württemberg, mit Franz Untersteller. Das SWR1 „Thema heute“ bis 20 Uhr.

SWR 1 Thema heute: Baden-Württemberg

In den 60er Jahren ist es als technische Meisterleistung gefeiert worden. Inzwischen ist es Geschichte und wird entsorgt. Das Atomkraftwerk Obrigheim in Nord-Baden im Odenwald. Das älteste Atomkraftwerk der Republik ist genau seit 7 Jahren schon vom Netz. Beschlossen hat das damals die rot-grüne Bundesregierung und so wird das nach 2022 allen Atomkraftwerken in Deutschland gehen. Denn der Ausstieg ist ja bekanntermaßen beschlossene Sache. Mit der Abrissbirne niederreißen, das geht bei einer solchen komplizierten Anlage natürlich nicht. Der Abbau ist tatsächlich kompliziert. SWR1-Reporterin Stephanie Ley war für uns auf der Baustelle in Obrigheim.

Also ich muss sagen, hier ist tatsächlich schon eine ganze Menge passiert. Im Maschinenhaus, das ich eben besucht habe, stehen eigentlich nur noch die Beton-Mauern. Der Generator ist ausgebaut, die Turbinen, einfach alles. Richtig spannend aber ist der Blick ins sogenannte Reaktorgebäude, in das ehemalige Herz der Anlage mit dem nuklearen Kern. Ja, ich bin gerade auf dem Weg dorthin, habe strengste Sicherheitskontrollen über mich ergehen lassen und stecke jetzt in einem quietschgelben Overall. In meiner Tasche ist ein sogenannter Dosimeter. Ein Gerät, das die radioaktive Strahlung kontrolliert. So nun geht’s durch eine runde Metallschleuse und wir sind mitten drin. Eine wirklich gigantische Baustelle. Unter der Kuppel ist ein schwerer Kran im Einsatz, Metallsägen zerlegen Rohre, überall wuseln Mitarbeiter herum. Von hier aus kann ich sogar in das Becken schauen, in dem früher die Brennelemente waren. Sie sind inzwischen ausgebaut und liegen jetzt im Nasslager nebenan. Ja und gerade bearbeitet man hier die beiden Dampferzeuger, riesige Anlagenteile, die früher die Turbinen mit Dampf versorgt haben. Wie viele andere Komponenten auch sind sie während des Betriebs mit hochgefährlichen, radioaktiven Stoffen in Berührung gekommen. Deshalb hat man sie, nachdem der Meiler vom Netz gegangen ist, zunächst mal grob vorgereinigt und zwar im Rahmen der sogenannten Primärkreis-Dekontamination. Mit das Erste, was hier passiert ist, erklärt Kraftwerksleiter Dr. Manfred Möller:

EnBW: „Da wird ein Medium, eine chemische Substanz, eingespeist. Die löst die Beläge an den Rohr-Oberflächen. Die Beläge werden dann entfernt und werden in Filtern abgeschieden, so dass die Anlage hinterher weitgehend aktivitätsfrei ist.“

Voraussetzung dafür, dass Menschen hier jetzt relativ frei agieren können. Um die Komponenten noch ein gutes Stück weiter zu säubern, werden sie später dann von Strahlenschutz-Experten in der sogenannten Dekontaminations-Werkstatt bearbeitet. Welche Verfahren da so üblich sind, erklärt Manfred Möller:

EnBW: „Da gibt’s unterschiedliche Möglichkeiten. Eine ist mit Hochdruck-Wasserstrahl die Oberfläche einfach abspülen. Die haben Ultraschall-Reinigung. Es gibt aber auch so eine Sandstrahl-Einrichtung. Damit ist das darunter liegende Material dann blank und ist Reststoff, der wieder in den normalen Stoffkreislauf eingespeist werden kann.“

Jetzt braucht man ja für diese Verfahren diverse Utensilien, man braucht Reinigungsmittel, man braucht Wasser, also Dinge, die nach der Säuberung doch auch belastet sind. Bleiben wir mal beim Wasser. Was passiert denn später damit?

EnBW: „Beim Wasser hat man eine elegante Möglichkeit. Man kann das Wasser verdampfen lassen. Es bleiben die im Wasser gelösten Reststoffe übrig. Damit kann man die Aktivität entfernen und hat dann den Abfall auf ein Minimum reduziert.“

Gesundheitstechnisch sei das für die Mitarbeiter im grünen Bereich, heißt es hier. Nachdem ganzen Prozedere muss dann übrigens jedes noch so kleine Schräubchen durch die sogenannte Freimessanlage. Eine Vorrichtung, die überprüft, ob die Strahlung an den Gegenständen tatsächlich unter den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerten liegt. Sachverständige des Umweltministeriums schauen den Arbeitern dabei genaustens auf die Finger. Und erst wenn die Behörde grünes Licht gibt, darf der Artikel an Dritte weitergegeben werden. Zum Beispiel Richtung Schrott-Händler.

So wird also ein Atomkraftwerk abgebaut. In Obrigheim gibt es allerdings Widerstand gegen diesen Rückbau der Atomanlage. Etliche Anwohner trauen der Sache nicht und befürchten, dass Radioaktivität austritt. Welche Anhaltspunkte sie dafür haben, das hören wir gleich im SWR1 Thema heute.

„Der Rückbau des Atomkraftwerks Obrigheim“ das SWR1 Thema heute: Baden-Württemberg

Mehr als 800.000 Haushalte hat das Atomkraftwerk im Odenwald früher mal mit Strom versorgt. Seit 4 Jahren wird es abgebaut. Mitarbeiter zerlegen und reinigen die strahlenden Teile, so dass sie wiederverwertet werden können. Wie die Menschen in Obrigheim das finden, das berichtet SWR1-Reporter Christian Scharff.

Von großem Unbehagen oder gar Angst ist bei den meisten Obrigheimern nichts zu spüren. Seit über 40 Jahren leben die Einwohner der Gemeinde schließlich mit dem Atommeiler. Auf die Frage, was sie über den jetzigen Rückbau denken, reagieren die meisten mit bloßem Achselzucken:

Obrigheimerin1: „Ich bin kein Atomkraftgegner. Ich find auch, dass man das jetzt alles so rabiat abgeschaltet hat, ohne sich um eine Alternative Gedanken zu machen, war vielleicht ein bisschen überstürzt.“
Obrigheimerin2: „Ich denk, wenn man die richtigen Vorsichtsmaßnahmen hat, ist es nicht ganz so gefährlich wie jeder denkt. Also so hab ich die Meinung.“

Viele haben Angehörige, die früher im Kernkraftwerk ihre Brötchen verdienten. Sie bedauern nun den Wegfall zahlreicher Arbeitsplätze. Ein Umstand, den auch diese Geschäftsfrau zu spüren bekommt – jeden Tag beim Blick in die Kasse:

Obrigheimerin3: „Die Kaufkraft hier im Ort selbst lässt nach, ist ja klar. Sind nicht mehr viele Fremdarbeiter da. Also das ist schon ein Thema.“

Doch es gibt durchaus auch kritische Geister in der Region. Rund 100 Unterstützer zählt etwa die Bürgerinitiative AtomErbe Obrigheim. Einige Mitglieder haben unlängst beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim geklagt gegen die Genehmigungspolitik des Umweltministeriums und versuchen nun per Eilantrag die Rückbaumaßnahmen zu stoppen. Die Kläger, allesamt Anwohner, fürchten um ihre Sicherheit, erklärt Mitglied Gertrud Patan, etwa bei Störfällen.

IAEO: „Die können immer noch auftreten auch nach dem Abschalten. Und in Obrigheim ist das besonders gefährlich, weil eben diese hochradioaktiven Brennelemente in der Anlage liegen. Und bei Brand oder Flugzeugabsturz ganz viel Radioaktivität austreten kann. Und es stört uns natürlich auch, dass bei diesem ganz normalen Abbau ständig in zwar niedrigen, aber doch messbaren, Dosen Radioaktivität abgegeben wird in die Luft, in das Wasser und man weiß auch, dass Niedrigstrahlung schädlich ist.“

Die Öffentlichkeit werde völlig unzureichend informiert, kritisieren die Atomkraftgegner. Das Landesumweltministerium lasse den Verantwortlichen zu viel freie Hand beim Umgang mit dem hochgefährlichen Material. Ihre Forderung deshalb:

IAEO: „Wir sind dafür, dass der Rückbau jetzt erst mal gestoppt wird bis geklärt ist, wie das mit der Öffentlichkeitsbeteiligung zu handhaben ist und auch, weil wir meinen, dass der Rückbau nicht von statten gehen darf, solange die Brennelemente in der Anlage sind.“

Wie gefährlich ist denn nun dieser Rückbau des Atomkraftwerks Obrigheim? Das frage ich gleich den Umweltminister von Baden-Württemberg Franz Untersteller im SWR1 Thema heute…

SWR1 Thema heute: „Der Rückbau des Atomkraftwerks Obrigheim“ ist das SWR1 Thema heute bis 20 Uhr.

Im Mai 2005, also vor 7 Jahren, ist das älteste Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz gegangen. Seitdem läuft der Rückbau des Meilers und es gibt Kritik daran, Ängste der Bevölkerung und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Franz Untersteller, dem grünen Umweltminister von Baden-Württemberg. Guten Abend Herr Untersteller.

Untersteller: „Guten Abend.“

Also diese Brennstäbe sind nicht richtig gesichert, Strahlung tritt immer noch aus, der Schutz ist nicht gewährleistet, dass die Angst der Bevölkerung… Was können Sie den Menschen entgegnen?

Untersteller: „Also zunächst mal Strahlung tritt keine aus. Trotzdem muss man solche Diskussionen, solche Ängste ernst nehmen und hier sich dann mit der Bevölkerung auch auseinander setzen oder in Verbindung setzen und diese Themen diskutieren. Dieses machen wir. Beispielsweise jetzt im Juni werden wir im Zuge der Erteilung der 3. Stilllegungsgenehmigung, wo es dann um den Reaktordruckbehälter geht und die sogenannte heiße Zone, die Reaktordruckbehälter-Einbauten, werden wir noch mal eine Öffentlichkeitsbeteiligung machen, obwohl wir eigentlich rechtlich nicht dazu verpflichtet wären, aber wir machen das. Und hier dann mit der Bevölkerung solche Themen dann, wie sie eben angesprochen wurden, auch noch mal diskutieren.
Wie sieht es aus mit diesen Brennelementen in der Anlage? Man muss Folgendes wissen. Es gibt in Deutschland ein einziges Kernkraftwerk und das ist nun mal Obrigheim, das ein sogenanntes Nasslager hat. An allen anderen Kernkraftwerk-Standorten haben sie Zwischenlager, in denen die abgebrannten Brennelemente in den Castoren drin zwischengelagert werden. In Obrigheim ist das anders. In Obrigheim haben sie ein Becken und in diesem Becken hängen die abgebrannten Brennelemente, das sind derzeit so rund 340, und die hängen da drin und klingen weiter ab. So, und derzeit ist es so, dass der Betreiber einen Antrag laufen hat auf die Genehmigung eines Zwischenlagers am Standort Obrigheim, in dem dann auch in diesem Zwischenlager zukünftig dann die Brennelemente in Castoren gelagert werden sollen. Nichtsdestotrotz, ich habe keinerlei Hinweise darauf, dass diese Lagerung derzeit mit Gefahren zusammenhängt. Ich habe auch keine Hinweise darauf, dass Radioaktivität an die Umwelt abgegeben wird.“

Wo kommen denn die Brennstäbe hin, wenn sie entsorgt werden?

Untersteller: „Nun wie gesagt, es ist so, dass die EnBW auch für den Standort Obrigheim genauso wie an allen anderen Standorten derzeit einen Antrag laufen hat für die Errichtung eines Zwischenlagers und an allen anderen Standorten haben wir solche Zwischenlager, nur in Obrigheim nicht. Und zuständig für die Genehmigung eines solchen Zwischenlagers ist das Bundesamt für Strahlenschutz, also sprich nicht die Landesaufsichtsbehörde. Vorausgesetzt es wird so eine Genehmigung erteilt, würde ein Zwischenlager errichtet werden und diese rund 340 Brennelemente dann in etwa, wenn ich es recht im Kopf habe, 15 Castoren zwischengelagert werden bis zu dem Zeitpunkt an dem wir dann in Deutschland ein Endlager haben. Die anderen Zwischenlager haben in der Regel Genehmigungen für 40 Jahre.“

Endlager – Die nächste Sorge von Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger ist, dass quasi vor ihrer Haustür ein Endlager installiert wird. Ist das, nach allem was man in den letzten Wochen gehört hat, nicht doch inzwischen sehr wahrscheinlich, dass es so kommt?

Untersteller: „Nein. Wir haben nach der Entscheidung im letzten Jahr, von 4 Parteien getragene Entscheidung aus der Atomenergie auszusteigen, haben wir seitens der grün geführten Landesregierung gesagt, das ist eine Riesenchance auch noch die letzte große Streitfrage im atomaren Bereich, nämlich die Endlager-Frage, zu versuchen, die auch streitfrei zu stellen. Wir haben dann im Oktober letzten Jahres von meinem Haus aus ein Vorschlag gemacht, um in Deutschland ein transparentes, auf wissenschaftlichen Kriterien basierendes Suchverfahren für die Findung eines Endlager-Standorts in die Wege zu leiten. Und seit rund 6 Monaten gibt es nun Diskussionen zwischen den Bundesländern auf der einen Seite und dem Bundesumweltministerium über die Frage: Was sind die Eckpunkte für ein zukünftiges, transparentes Suchverfahren? Und das bedeutet es gibt in Deutschland eine weiße Landkarte. Und auf dieser weißen Landkarte wird dann in geeigneten Wirtsgesteinen, diese sind grundsätzlich Salz, dies ist grundsätzlich der sogenannte Opalinuston und dies ist grundsätzlich auch Granit, gesucht nach dem bestgeeignetsten Standort in Deutschland. Und da spielen eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Kriterien eine Rolle, welche dieser Gesteins-Formationen mit Randbedingungen dann geeignet sind und welche nicht. Und weiße Landkarte heißt, keiner kann sich ausnehmen. Übrigens auch Gorleben ist bislang nicht ausgenommen. Mit den Worten meines Ministerpräsidenten: Irgendwo muss der Dreck hin! Und diese offene Frage gilt es noch zu lösen.“

Also ein Endlager möglicherweise in Baden-Württemberg wird ein weiteres Thema sein, das uns beschäftigen wird. Vielen Dank an den grünen Umweltminister von Baden-Württemberg an Franz Untersteller. Und wie das Atomkraftwerk Obrigheim bald ganz verschwinden wird, das hören wir gleich…

„Der Rückbau des Atomkraftwerks Obrigheim in Nord-Baden“ das SWR1 Thema heute

Ja, der Dreck muss weg! Atommüll-Streit noch Jahrtausende lang. Wohin also damit? Ein Endlager muss kommen. Was aber passiert mit dem atomaren Abfall jetzt? Wohin kommen ganz konkret die Reste aus dem Atomkraftwerk Obrigheim? Antworten von SWR1-Reporterin Stephanie Ley.

Über 270.000 Tonnen, das ist in etwa die Gesamtmasse, die das Atomkraftwerk Obrigheim ausmacht. Darunter sehr viel Mauerwerk und Technik, die mit radioaktiven Stoffen nie in Berührung gekommen sind. Rund 1% der Gesamtmasse allerdings ist verstrahlt und gilt als Atommüll. Als hochradioaktiver Abfall einerseits und als nuklear belasteter Stoff andererseits, der behandelt werden kann. Genau das passiert derzeit in Obrigheim. Mit dem Ziel die Verunreinigungen von den Gegenständen abzutrennen. Im Idealfall bleiben kleinste Partikelchen übrig, die das Abfallvolumen deutlich verringern – der schwach- und mittelradioaktive Atommüll. Er wird in speziellen Fässern gesammelt und vor Ort im Trockenlager aufbewahrt. Möglichst bald aber sollen die Fässer zur Endlagerung in einen Salzstock bei Salzgitter, sagt Kraftwerksleiter Manfred Möller.

EnBW: „Das Endlager Konrad, auf das wir relativ händeringend warten, das ist jetzt ab 2019 angekündigt.“

Für hochradioaktive Komponenten kommt Schacht Konrad allerdings nicht in Frage. Was also tun mit den abgebrannten Brennelementen bis ein Endlager gefunden ist?

EnBW: „Die Brennelemente, die beim Abschalten noch im Druckbehälter waren, das sind 342 Stück, lagern in einem separaten Nasslager und werden dann später in Castor-Behälter umgeladen. Das ergibt dann 15 Castor-Behälter, die in ein Zwischenlager transportiert werden.“

Auf der Baustelle in Obrigheim gilt es derweil noch andere heikle Fragen zu lösen. Zum Beispiel wenn es an den Ausbau des Druckbehälters geht. Weil Menschen da keine Hand mehr am Objekt anlegen dürfen, geht das in einem Wasserbecken mit ferngesteuerten Robotern über die Bühne. Viel Arbeit also noch, Sommers wie Winters. Damit die Belegschaft an kalten Tagen übrigens nicht frieren muss, greift man im Atommeiler wärmetechnisch auf eine neue Technologie zurück.

EnBW: „Bei der Heizungsversorgung sind wir angeschlossen an das Biomasse-Kraftwerk, was gerade nebenan steht. Wir haben praktisch eine Leitung rübergelegt und die versorgen uns mit Fernwärme.“

Atomkraft versus Biomasse. Irgendwie symbolträchtig.

„Der Rückbau des Atomkraftwerks Obrigheim“ das war das SWR1 Thema heute: Baden-Württemberg mit Rainer Hartmann. Schönen Abend.

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